Gret Haller
Das kollektive Element der Menschenrechte und die Folgen seiner individualistischen Ausblendung
Das Beispiel des State-Building in Bosnien&Herzegowina
in Liber Amicorum Antionio La Pergola, Lund 2009

Es war die erste Intervention der NATO in einem Krisengebiet, als Ende 1995 im Einvernehmen mit dem UNO-Sicherheitsrat rund 60'000 Soldaten in Bosnien&Herzegowina stationiert wurden. In Dayton / Ohio in den USA fanden die Friedensverhandlungen statt, welche zu einem Abkommen führten, das im Dezember 1995 in Paris unterzeichnet wurde. Die militärische Befriedung verlief erfolgreich, schon bald konnten die Waffen zum Schweigen gebracht werden. Das nachfolgende State-Building hingegen ist bis heute mit Widerständen konfrontiert. Rückblickend zeigt es sich, dass die staatspolitische Ausgangslage im Friedensabkommen von Dayton der Befriedung und dem Aufbau des Landes nicht nur förderlich war. Die folgenden kritischen Anmerkungen beschränken sich im weitesten Sinne auf den Aspekt der Menschenrechte.(1) Wenn sich in den ersten Nachkriegsjahren in Bosnien eine Kultur der Menschenrechte kaum entwickeln konnte, so ist dies strukturell im Wesentlichen auf drei Ausgangselemente im Friedensabkommen von Dayton zurückzuführen.

Zum einen wurde der neue Staat Bosnien&Herzegowina entlang der Grenzen zwischen jenen ethnischen Gruppen konzipiert, die sich im Krieg gegenübergestanden hatten. Dass die militärischen Demarkationslinien mehr oder weniger zu neuen internen Grenzen im föderalen Staatsaufbau wurden, erklärt sich zwar aus dem Zustandekommen des Friedensabkommens, waren die vormaligen Kriegsherren doch an den Verhandlungen in Dayton mitbeteiligt. Darüber hinaus aber fand bis in die detaillierten föderalistischen Strukturen eine konsequente Ethnisierung statt, die so nicht hätte sein müssen und wie sie in der Geschichte Bosniens über Jahrhunderte hinweg nie existiert hatte.(2) Das zweite Element besteht in der Schaffung einer Vielzahl von Institutionen zur Behandlung menschenrechtlicher Individualbeschwerden mit zum Teil überlappende Kompetenzen. In Dayton war vor allem für eine große Zahl von Beschwerdeinstanzen und Beschwerdemöglichkeiten gesorgt worden, wobei die Konsistenz der Rechtsordnung weniger im Vordergrund gestanden hatte.(3) Als Beschwerdegrundlage hatte man kurzerhand alle internationalen Menschenrechtsabkommen für direkt anwendbar erklärt und ins Landesrecht integriert.(4) Die Einrichtung von Beschwerdeinstanzen ist im State-Building unabdingbar. Im Zusammenwirken mit anderen Faktoren ergaben sich im Falle Bosniens aus dem Überangebot an Beschwerdemöglichkeiten jedoch auch kritisch zu beurteilende Konsequenzen. Als drittes Element schließlich ist der Stellenwert des Abkommens von Dayton selber zu nennen. Es enthielt auch die Verfassung, wie sie in Dayton erarbeitet und dem neugeschaffenen Staat gleichsam übergestülpt worden war. Das Friedensabkommen galt in der internationalen Gemeinschaft wie auch – und noch viel mehr – in der bosnischen Bevölkerung als unantastbar. Sein Inhalt durfte nicht zur Diskussion gestellt werden. Auch dieser Umstand hätte für sich allein geringere Bedeutung, würde er nicht im Zusammenwirken mit den beiden zuvor genannten Elementen menschenrechtlich relevant.

Bosnien verfügt historisch über eine jahrhundertelange Tradition des interethnischen Zusammenlebens. Sie geht zurück bis ins Osmanische Reich, wurde fortgesetzt im Habsburgischen Reich, und erst im 20. Jahrhundert brach das friedliche Zusammenleben der Ethnien ein. Im Zweiten Weltkrieg standen sich kroatisch und serbisch zugeordnete Milizen gegenüber. Im Vielvölkerstaat Jugoslawien konnten die ethnischen Animositäten wieder aufgefangen werden. Als Jugoslawien auseinanderbrach, besannen sich vormals kommunistisch abgestützte Machthaber auf eine neue Machtbasis im Ethnonationalismus und brachten die Konflikte entlang der ethnischen Grenzlinien wieder auf. Die Folge war der Bosnische Krieg der Neunziger Jahre. Auch die entsetzlichen Gräueltaten in diesem Krieg haben jedoch die erwähnte Tradition nicht gänzlich auslöschen können. Die Erinnerung an den jugoslawischen Vielvölkerstaat – oder Reste der sogar noch älteren Überlieferung aus der Zeit der Vielvölkerreiche – prägten die Identität der bosnischen Bevölkerung nach wie vor. Wenn es sich mangels demokratischer Erfahrung auch nicht um ein staatsbürgerliches Bewusstsein handelte, so doch gleichsam um ein staatspolitisches, um die Einsicht nämlich, dass nur in Rahmen einer wie immer verwalteten Staatlichkeit das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Ethnien gewährleistet werden kann.

Individualisierung der Verantwortung für die Menschenrechte

Das Abkommen von Dayton knüpfte nicht an diese Tradition an, sondern verbaute geradezu die Möglichkeit eines staatspolitischen Bemühens um das interethnische Zusammenleben. Der Einzelne hatte kaum die Möglichkeiten, durch staatsbürgerliche Mitwirkung Einfluss darauf zu nehmen, dass bessere Chancen für dieses Zusammenleben geschaffen wurden. Im Gegenteil musste er feststellen, dass in der staatlichen Organisation manche Strukturen säuberlich entlang ethnischer Trennlinien geschaffen worden waren, und dass diese Vorgaben nicht in Frage gestellt werden durften. Andererseits verfügten die Individuen theoretisch über alle Garantien und Rechte, welche es ihnen ermöglichen sollten, der Einengung durch die ethnisierende Grundstruktur zu entgehen, indem sie sich an ihrem ursprünglichen Wohnort niederlassen konnten: Das Abkommen von Dayton sicherte allen Vertriebenen die Rückkehr in ihre Wohnungen und Häuser zu. In der Praxis konnte eine solche Rückkehr jedoch ein gefährliches Unterfangen sein, wenn nämlich am ursprünglichen Wohnort inzwischen ausschließlich Angehörige einer anderen Volksgruppe ansässig waren, die sich gegen die Rückkehr der früheren Bewohnerschaft zur Wehr setzten. Die Ethnisierung in den staatlichen Strukturen, welche das Dayton-Abkommen unabänderlich festschrieb, trug das ihre zur Verstärkung solcher Abwehrreaktionen bei.

Von den Bewohnern Bosniens wurde erwartet, dass sie durch die Rückkehr an ihre früheren Wohnorte – auf der individuellen Ebene – eben das erreichen sollten, was das Abkommen von Dayton – auf der kollektiven Ebene des Staates – selber verhinderte. Die Individuen wurden auf den Kampf um ihr individuelles Recht verwiesen, wenn sie das interethnische Zusammenleben fördern wollten. So wurde die Verantwortung für das interethnische Zusammenleben in letzter Konsequenz individualisiert. Darüber hinaus erfuhr auch die Verantwortung für die Umsetzung der Menschenrechte eine Individualisierung. Die Vielzahl der menschenrechtlichen Beschwerdeinstanzen wurde vor allem durch Verfahren um Haus- und Wohneigentum oder entsprechende Nutzungsrechte in Anspruch genommen. So wurde die Rückkehr der Vertriebenen in der öffentlichen Wahrnehmung vorwiegend zu einer Frage der Menschenrechte.

Nicht nur die Individuen waren durch diese Konstellation des Abkommens von Dayton überfordert, sondern die Menschenrechtskultur als Ganzes wurde in Mitleidenschaft gezogen, weil jede verhinderte Rückkehr vor allem oder gar ausschließlich als eine Verletzung der Menschenrechte erschien. Die Menschenrechtskultur einer Gesellschaft kann dadurch geschwächt werden, dass eine Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen inszeniert wird und es dadurch zu einer inflationären Rezeption kommt. Die Individualisierung der Verantwortlichkeit für die Umsetzung der Menschenrechte führte gleichsam zu einer «Entstaatlichung» dieser Rechte. Damit wurde letztlich die Verantwortlichkeit des Individuums negiert, als Citoyen und Citoyenne durch die Teilnahme am öffentlichen Diskurs darauf hinzuwirken, dass der Staat für alle Bewohner seines Territoriums auch die Menschenrechte garantiert. Stattdessen wurde in Bosnien ein Nation-Building im Verfahren der individuellen Wieder-In-Besitz-Nahme von Land propagiert. Die drei genannten Ausgangselemente im Abkommen von Dayton haben der Menschenrechtskultur als Ganzes auch deshalb geschadet, weil die Propagierung dieses State-Building-Verfahrens weitestgehend unter dem Titel der Menschenrechte erfolgte.

Im Rückblick zeichnete sich hier erstmals ein Phänomen ab, das später wiederholt beobachtet werden konnte. So gesehen ist Bosnien lediglich der Ausgangspunkt für eine Entwicklung, die über den Balkan hinausführt zu anderen Krisenregionen, in welchen später militärisch interveniert wurde: Kosovo, Afghanistan und schließlich im Irak. Die Problematik dieser Entwicklung liegt darin, dass versucht wird, eine Ordnungsstruktur über ethnische oder religiöse Gruppen zu etablieren, wodurch das Wachsen von Staatlichkeit letztlich verunmöglicht wird. So verstandenes State-Building basiert nicht auf der staatsbürgerlichen Identität des einzelnen Citoyen und der einzelnen Citoyenne, sondern auf der Gruppenidentität von ethnisch oder religiös definierten Gemeinschaften.(5) Was die Menschenrechte anbelangt ist Bosnien nach wie vor das illustrativste Beispiel für diese Form des State-Building. Zum einen wurde hier – im Unterschied zu den andern Krisenregionen – die militärische Befriedung erreicht, weshalb die Menschenrechtskultur unabhängig vom militärischen Erfolg beurteilt werden kann. In jenen Krisenregionen, welche später ins Blickfeld der Öffentlichkeit rückten, stand die Menschenrechtsproblematik oft im Schatten der Schwierigkeiten mit der militärischen Befriedung selber. Zum anderen war der Aufwand spezifisch im Hinblick auf die Umsetzung der Menschenrechte in Bosnien um ein vielfaches größer als anderswo.

Illustrativ ist das Beispiel Bosnien auch deshalb, weil es die Unvereinbarkeit der Menschenrechte mit einem gruppen- oder gemeinschaftsbasierten Verständnis der öffentlichen Ordnung aufzeigt. In den Nachkriegsjahren machten Betroffene in Bosnien oft geltend, sie seien in ihren Menschenrechten speziell als Angehörige Ihrer Ethnie verletzt. Die Opfer von Vertreibungen argumentierten, ihre Menschenrechte «als bosnische Kroaten» , «als bosnische Serben» oder «als Bosniaken» (islamischgläubige Bosnier) seien verletzt worden. Diese Argumentation war oft verbunden mit der – ausdrücklich dargelegten oder impliziten – Vorstellung, die Angehörigen jener Ethnie, welcher die Täter angehörten, seien ihres Anspruches auf die Menschenrechte verlustig gegangen. Die begangenen Taten würden zu schwer wiegen, als dass sich die Täter noch auf Menschenrechte berufen könnten. Solche Fehlinterpretationen führen zu einer Implosion der Menschenrechtskultur.

Fehlinterpretationen dieser Art kann nur begegnet werden durch ein Verständnis der Menschenrechte, welches in deren Grundkonstruktion auf Gruppen- und Gemeinschaftsbezüge verzichtet, wodurch einzig und allein auf die Geburt des Individuums als Mensch abgestellt wird, ohne auf irgendwelche sonstige Merkmale Bezug zu nehmen. Dies schließt nicht aus, dass Gruppen- und Gemeinschaftsbezüge dann eine Rolle spielen, wenn Menschenrechtsverletzungen auf eine solche Zugehörigkeit zurückzuführen sind. In einem solchen Falle muss zusammen mit der Beurteilung der Verletzung auch der gruppenspezifische Aspekt aufgearbeitet werden. Dasselbe gilt im Zusammenhang mit Diskriminierungsfragen, die sich immer an Gruppenbezügen festmachen. Gerade derartige Verletzungen und Fälle von Diskriminierungen zeigen aber auf, dass Menschenrechte dem Individuum unabhängig von Gruppen- und Gemeinschaftsbezügen zustehen. Dieses Verständnis der Menschenrechte bringt einerseits ihre individuelle Zuschreibung und andererseits ihren Universalismus zum Tragen.

Individuelle Berechtigung und kollektive Verantwortung: Menschenrechte und Volkssouveränität

Eine Individualisierung der Verantwortung für die Menschenrechte, wie sie in Bosnien exemplarisch stattgefunden hat, blendet das kollektive Element dieser Rechte weitgehend aus. Die Menschenrechte werden so auf ihr individuelles Element reduziert. Indessen ist die Verantwortung des Individuums für die Menschenrechte vorwiegend kollektiver Natur. Die historische Begründung für dieses Phänomen findet sich im unauflösbaren Zusammenhang zwischen den Menschenrechten und der Volkssouveränität, wie er aus der französischen Revolution hervorgegangen ist. Die Aufklärung spricht dem Menschen zwei voneinander getrennte Rollen zu, die sich gegenseitig bedingen: Einerseits die Rolle als Teil des souveränen Gesetzgebers, andererseits die Rolle des Gesetzesunterworfenen. Nur insofern, als sich der Bürger an der Gesetzgebung hat beteiligen können, kann er sich danach dem Gesetz unterwerfen, und dies selbst dann, wenn er in der Meinungsbildung über das Gesetz als Minderheit unterlegen ist.(6) Im Zusammenhang mit den Menschenrechten wird diese Doppelrolle besonders deutlich. Zum einen ist das Recht auf politische Teilhabe ein Menschenrecht. Umgekehrt beinhaltet diese Teilhabe auch das Recht zur Interpretation und Fortentwicklung der Menschenrechte; insbesondere bedarf die Definition der Schranken von Menschenrechten der volkssouveränen (demokratischen) Absicherung.(7) Im Sinne der Französischen Revolution verstanden bedingen sich Menschenrechte und Volkssouveränität gegenseitig.(8)

Seit den großen Revolutionen hat sich jedoch immer auch ein vorrevolutionäres Verständnis halten können, wonach die Freiheitsrechte den Rechtsunterworfenen durch die Herrschenden gewährt werden. Dies war in jenen Staaten der Fall, in welchen eigentliche Revolutionen ausblieben, stattdessen aber soziale Machtgruppen den Monarchen zu einem partiellen Machtverzicht haben bewegen können.(9) Wenn die Menschenrechte so verstanden werden, dass sie den Berechtigten gewährt worden sind, dann geht ihr Zusammenhang mit der Volkssouveränität verloren. Die Rechte erreichen gleichsam die Bindung an die Volkssouveränität gar nicht, denn souverän ist nach wie vor jene Person oder jene Instanz, welche die Rechte gewährt hat. Genau besehen haben die beiden Verständnisse der Menschenrechte immer nebeneinander bestanden, je nach der historischen Entwicklung eines Staates oder einer Region.(10)

Ob die Menschenrechte in ihrer ursprünglichen Bindung an die Volkssouveränität verstanden werden, oder ob man sie unabhängig von dieser Bindung versteht, ist nicht unbedeutsam. Wenn sie unabhängig von der Volkssouveränität verstanden werden, muss sie sich der Rechtsunterworfene weder – als Teil des souveränen Volkes – selber zusprechen, noch ist er dazu aufgerufen, die von einer fremden Instanz gewährten Rechte selber als Teil des Souveräns zu definieren. Es genügt, wenn sich das Individuum nur um jene Menschenrechte kümmert, welche es individuell und im konkreten Fall beansprucht und einklagt. Ein kollektives Element gibt es nicht. Im ursprünglichen Verständnis der Menschenrechte hingegen kann sich der Einzelne nicht nur um seine individuellen Rechte im konkreten Fall kümmern. Er muss diese Rechte zunächst überhaupt einmal beanspruchen und sie definieren, und zwar in einem fortlaufenden Prozess und im öffentlichen Diskurs mit den anderen Trägern der Volkssouveränität. Dabei wird er sich bewusst, wo die Rechte ihre Grenzen finden müssen, nämlich genau dort, wo sie auf dieselben Rechte der anderen Individuen treffen. In dieser Definition und Konkretisierung der Menschenrechte wird die Perspektive der nur individuellen Berechtigung überschritten.(11) Vor allem aber führt dieser Prozess notwendigerweise zur Einsicht, dass sich die Wahrung der Menschenrechte nicht lediglich an der Summe aller individuellen Interessen orientiert, sondern dass sie sich darüber hinaus einfügt in die Wahrung des Gemeinwohles, welches mehr ist als die rechnerische Summe der individuellen Interessen aller Berechtigten. Diese Wahrung des Gemeinwohles kann auch in den Grenzen der individuellen Berechtung zum Ausdruck kommen.

Menschenrechte können nur Bestand haben, wenn sie den Menschen zweifach berechtigen: einerseits als Träger der Volkssouveränität, der diese Rechte zunächst kollektiv beansprucht und sich sodann immer wieder beteiligt an ihrer Definition, andererseits als Rechtsunterworfener, der die Rechte individuell im konkreten Fall für sich beansprucht. Abwegig ist somit der gelegentlich eingebrachte Vorschlag, es sei den Menschenrechtskatalogen ein entsprechender Katalog von Menschenpflichten zur Seite zu stellen. Diese Vorstellung spricht dem Berechtigten die Möglichkeit ab, das Zusammenspiel der Rechtsausübung zwischen allen Individuen mitzugestalten. Wenn sich ein Mensch mit der Frage auseinandersetzt, ob und inwieweit andere dieselben Menschenrechte beanspruchen können, so erfüllt er damit keine Pflicht, sondern er übt ein Recht aus, nämlich jenes auf kollektive Definition der Menschenrechte durch den Souverän. Der Pflichten-Diskurs im Zusammenhang mit den Menschenrechten versucht, die Menschenrechte des «Mit-Menschen» einzubeziehen, dies aber unter Ausblendung des kollektiven Elementes im Verständnis dieser Rechte.(12) Was die Menschenrechte anbelangt, kommt dem Individuum nur eine einzige Pflicht zu, sich nämlich nach Möglichkeiten dafür einzusetzen, dass es eine öffentliche Ordnung im Sinne einer Res publica überhaupt gibt, welcher die Schutzpflicht für die Menschenrechte anvertraut werden kann, damit alle Individuen in gleicher Weise geschützt sind.(13)

Die Ablösung der Menschenrechte von der Volkssouveränität als Übergangsstadium

Obwohl die Menschenrechte normativ immer universalistisch verstanden worden sind, wurden sie in ihren Anfängen praktisch als Bürgerrechte umgesetzt. Zwar waren diese beiden Begriffe in der französischen «Erklärung der Rechte des Menschen und des Bürgers» von 1789 noch identisch gewesen. Diese Eigentümlichkeit findet sich allerdings nur in der französischen Deklaration und nicht in den anderen Katalogen der Freiheitsrechte jener Zeit.(14) Es kommt darin die Überzeugung zum Ausdruck, dass Bürger nichts anderes sind als Menschen, die sich in einem bestimmten gesellschaftlichen Raum gemeinsam darauf verständigt haben, als Freie und Gleiche die Gesellschaft in einen Rechtszustand überzuführen, in dem sie zum souveränen Gesetzgeber werden.(15) Da die Umsetzung der Volkssouveränität in den verschiedenen Staaten ungleichzeitig im Rahmen der jeweiligen Nationalstaatenbildung erfolgte, wurden die damit verbundenen Menschenrechte in der Praxis ebenfalls im Rahmen der Nationalstaaten in der Form von Bürgerrechten umgesetzt. Für eine universale Positivierung der Menschenrechte war die Zeit längst noch nicht reif. Umgekehrt stellte das Herunterbrechen der universal gedachten Rechte auf die nationalstaatliche Ebene sozusagen den Preis dar, der zu zahlen war, wenn der Zusammenhang zwischen den Menschenrechten und der Volkssouveränität gewahrt werden sollte. Normativ und in der Theorie blieb der Universalitätsanspruch erhalten, während in der Praxis die Bürgerrechte zu nationalstaatlich konnotierten partikularen Rechten wurden.(16)

Eine umgekehrte Bewegung in Richtung Universalisierung auch in der Praxis setzte nach 1945 ein. Für diese Anhebung des Menschenrechtsschutzes auf die internationale Ebene war jedoch wiederum ein Preis zu zahlen, und nun in der umgekehrten Richtung als in den 150 Jahren zuvor. Weitgehend preisgegeben wurde nun auf der internationalen Ebene der ursprüngliche Zusammenhang zwischen den Menschenrechten und der Volkssouveränität. Die neuen völkerrechtlichen Menschenrechtsinstrumente wurden im Rahmen der internationalen Organisationen durch die Regierungen der Mitgliedstaaten verabschiedet, sodann unterzeichnet und ratifiziert, wobei die nationalen Parlamente im Genehmigungsverfahren verständlicherweise keinen Definitionsspielraum mehr hatten.(17) Interpretation und Fortentwicklung der international vereinbarten Menschenrechte wurden gerichtlichen Instanzen und Ausschüssen anvertraut, am effizientesten entwickelt wurden die entsprechenden Verfahren durch die Organe der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), heute durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).

Für das hier interessierende Thema gibt es zwischen der Fortentwicklung der Menschenrechte durch den Verfassungs- oder Gesetzgeber einerseits und durch Gerichte andererseits einen bedeutsamen Unterschied. Im ersten Falle handelt es sich um einen politischen Akt, welcher am kollektiven Element im Verständnis der Menschenrechte anknüpft, im zweiten Falle hingegen um ein rechtliches Verfahren im Einzelfall, welches sich am individuellen Element festmacht. Diskutiert wird dieser Unterschied vor allem auf der Ebene des Nationalstaates, wo der Gesetzgeber in vielen Staaten – und in unterschiedlicher Ausgestaltung der jeweiligen Kompetenzordnung – dem Verfassungsgericht gegenübersteht.(18) Diese nationale Situation ist jedoch der internationalen nicht vergleichbar, da international ein Verfassungs- oder Gesetzgeber im traditionellen Sinne nicht existiert.

Ausblendung des kollektiven Elementes als internationales Paradox

Im Grunde genommen handelt es sich um ein Paradox, dass die Menschenrechte aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang mit der Volkssouveränität herausgelöst werden mussten, damit man die Nationalstaaten international an sie binden und mittels Individualbeschwerdeverfahren einer Kontrolle unterwerfen konnte. Mit diesem Paradox wird man noch sehr lange leben müssen, denn der Schutz dieser Rechte durch internationale Gerichte oder sonstige Gremien ist unabdingbar und muss vor allem global weiter ausgebaut werden. Sollen die Menschenrechte auch in dieser paradoxalen Situation Bestand haben, so ist es jedoch unabdingbar, den Widerspruch zu thematisieren, der zum Paradox geführt hat. Zentral ist dabei die Einsicht, dass es sich bei der Ablösung der Menschenrechte von der Volkssouveränität nur um ein Übergangsstadium handeln kann.

Die paradoxale Situation zeigt sich vor allem darin, dass das kollektive Element im Verständnis der Menschenrechte ausgeblendet wird oder – anders gesagt – überblendet wird durch das individuelle Element. Während es von der Französischen Revolution bis Mitte des 20. Jahrhunderts klar gewesen war, dass die Berechtigten – falls sie sich an dieser Revolution und nicht an einem vorrevolutionären Menschenrechtsverständnis orientieren – selber bestimmen müssen, worin diese Rechte bestehen(19), wurde danach der Akt politischer Selbstregierung als Begründung der Menschenrechte abgelöst durch «die Bekräftigung einer vorgängigen moralischen Einsicht» .(20) Dies hat zur Folge, dass die beiden Rollen des Menschen als Träger der Volkssouveränität und als Rechtsunterworfener zusammenfallen, oder vielmehr die erstgenannte Rolle hinter der Zweitgenannten verschwindet. Der politische Akt der Definition, der Interpretation und der Weiterentwicklung der Menschenrechte wird ersetzt durch den rechtlichen Akt des Gerichtsentscheides.

Damit wird der kollektive Akt der Selbstregierung ersetzt durch den individuellen Akt des Einklagens von Rechten im konkreten Fall. Das Verständnis der Menschenrechte wird reduziert auf sein individuelles Element, was zu einem individualistischen Verständnis der Menschenrechte führen kann. Marcel Gauchet hat darauf hingewiesen, dass das heute üblich gewordene Vertrauen in die Menschenrechte ausschließlich individualistisch abgestützt sei, was dem ursprünglichen Sinn dieser Rechte widerspreche.(21) Wenn der Mensch dem politischen Gemeinwesen nur noch als atomistisches Individuum isoliert gegenübersteht und ihm gegenüber lediglich noch Ansprüche anmeldet, führt dies zu «einer Praxis des Klagens und Einklagens, die jede Form gemeinsamen Lebens aufzulösen droht, und damit zuletzt auch die Rechte selbst, auf die sie sich beruft, in Frage stellt» .(22) Sollte sich diese Entwicklung intensivieren, so besteht die Gefahr, dass sich auch die gerichtlichen Instanzen der zunehmend individualistischen Sicht der Menschenrechte nicht zu entziehen vermögen.

Menschenrechte müssen durch die Berechtigten selbst in einem politischen Akt konstituiert werden. Diesem ersten Schritt folgt ein zweiter, nämlich die Interpretation und Fortentwicklung der Rechte im Sinne der Adaptation an neue gesellschaftliche Gegebenheiten. Wenn das kollektiv-politische Element aus diesem zweiten Schritt ausgeblendet und dieser ausschließlich gerichtlichen Instanzen übertragen wird, entsteht in der öffentlichen Wahrnehmung der Eindruck, dieser zweite Schritt könne den ersten ersetzen. Diese Annahme dürfte auch dem State-Building in Bosnien zugrunde gelegen haben. Gerade die Erfahrung in Bosnien zeigt aber die Ausweglosigkeit dieser Annahme auf. Gerichtliche Interpretation und Fortentwicklung kann den initialen, die Menschenrechte konstituierenden politischen Akt nicht ersetzen. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass sich ein souveränes Volk an den Erfahrungen massiver Menschenrechtsverletzungen orientiert, die es nicht selber hat machen müssen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Orientierung an den Erfahrungen einer breiteren Staatengemeinschaft erfolgt und dementsprechend Standards übernommen werden, deren normative Richtigkeit von anderen erarbeitet worden ist. Eine solche Orientierung kann zwar eine tragfähige Grundlage bilden, jedoch muss diese in einem konstitutiven politischen Akt aktiv übernommen und an die konkrete Situation adaptiert werden. Bei den internationalen Standards handelt es sich ohnehin um Minimalanforderungen, weshalb im politischen Konstituierungsakt festzulegen ist, inwieweit über dieses Minimum hinausgegangen werden soll. Wenn der Akt der kollektiven Konstituierung der Menschenrechte nicht durch die nachfolgende gerichtliche Interpretation und Fortentwicklung ersetzt werden kann, so ist diese Aussage auch in umgekehrter Richtung gültig. Die initiale Konstituierung der Menschenrechte in einem politischen Akt kann die nachfolgende Interpretation und Fortentwicklung dieser Rechte durch die Berechtigten selber nicht ersetzen. Dies gilt jedenfalls für die nationale Ebene – die trans- oder supranationale Ebene wie auch die Notwendigkeit einer permanenten Selbstkritik hinsichtlich der Menschenrechte wird im Ausblick thematisiert werden, der diesen Beitrag abschließt.

Eine Differenzierung zu den beiden Rollen des Individuums als Träger der Volkssouveränität und als Rechtsunterworfener sei hier noch angefügt. In der erstgenannten Rolle – eine kollektive und politische – werden die Menschenrechte kollektiv beansprucht und definiert, in der zweitgenannten Rolle – eine individuelle und rechtliche – werden sie umgesetzt oder auf den Einzelfall angewendet. Parallel zur beschriebenen Entpolitisierung im Bereich «Definition und Fortentwicklung der Menschenrechte» hat weltweit eine Politisierung des Bereiches «Anwendung der Menschenrechte» stattgefunden. Nur in Europa mit seinen ausgebauten Schutzmechanismen ist auch die Umsetzung und Anwendung der Menschenrechte weitgehend rechtlich konnotiert. Die Umwandlung der UNO-Menschenrechtskommission in einen Menschenrechtsrat, die in diesen Schritt gesetzten Hoffnungen und deren teilweise Enttäuschung haben aufgezeigt, wo und warum die politische Umsetzung der Menschenrechte an Grenzen stößt. Wenn in diesem Beitrag die Ausblendung des kollektiven Elementes im Verständnis der Menschenrechte und die Entpolitisierung kritisch gesehen werden, so bezieht sich dies nur auf die Definition und Weiterentwicklung der Menschenrechte. In der Umsetzung und Anwendung auf den Einzelfall wäre kritisch eher die Politisierung zu hinterfragen, und es muss der rechtliche Schutz der Menschenrechte durch internationale Gerichte oder sonstige Gremien weiter ausgebaut werden. Diese Fragestellung ist aber nicht Gegenstand des vorliegenden Beitrages, sondern es geht um den Bereich der Definition und Weiterentwicklung der Menschenrechte.

Wiederannäherung der Volkssouveränität an die Menschenrechte

Wenn die durch die paradoxale Situation geförderte Individualisierung so weit geht, dass das kollektive Element im Verständnis der Menschenrechte nicht mehr bestehen kann, gefährdet dies die Menschenrechtskultur als Ganzes. Es ist deshalb wichtig, sich schon heute mit den langfristigen Möglichkeiten auseinanderzusetzen, diese paradoxale Situation zu überwinden. Dabei kann es verständlicherweise nicht darum gehen, die Menschrechte wieder – oder nochmals – auf die nationalstaatliche Eben der Bürgerrechte herunterzubrechen, wo sie sich seinerzeit in Verbindung mit der hier angesiedelten Volkssouveränität entwickelt haben. Dies wäre ein bedauernswerter Rückschritt in der Geschichte des Menschenrechtsschutzes. Die Perspektive ist eine umgekehrte, nämlich die Anhebung der Volkssouveränität auf die übernationale Ebene, auf welche der Menschenrechtsschutz bereits ausgedehnt worden ist, wobei dann möglicherweise von Souveränität der Völker die Rede sein müsste.(23) Dieser Transfer von Souveränität der Völker darf sich jedenfalls in einem ersten Schritt durchaus auf die Definition der Menschenrechte beschränken.(24) Ob sich längerfristig gesehen der völker-souveräne Diskurs über Inhalt und Weiterentwicklung der Menschenrechte hinaus auch auf andere Bereiche ausweiten soll, welche gelegentlich unter dem Begriff der «Konstitutionalisierung» zusammengefasst werden, ist heute offen, jedenfalls was die globale Ebene anbelangt. Versteht man «Konstitutionalisierung» in einem engen Sinne, so dass analog der Nationalstaatlichkeit auf höherer Ebene eine vollausgebaute Staatlichkeit angestrebt wird, so ist ohnehin Vorsicht geboten: Es ist durchaus und zu Recht umstritten, ob ein «Weltstaat» oder eine «Weltregierung» überhaupt wünschbar, geschweige denn realisierbar sind.

Die Wiederannäherung der Volkssouveränität an die Menschenrechte kann unter zwei Blickwinkeln betrachtet werden, dem bereits angetönten institutionellen einerseits und einem inhaltlichen andererseits. Im institutionellen Blickwinkel muss global in sehr langfristigen Zeiträumen gedacht werden. Globale Strukturen und Regime befinden sich heute in einer Entwicklung der «Verrechtlichung.(25) Unter dem Titel «Global Governance» wird das Regieren jenseits des Nationalstaates durch Akteure staatlicher, wirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Herkunft diskutiert. Die Legitimität dieser Verrechtlichung leitet sich aber nicht aus Parlamenten ab.(26) Sie ist das Produkt vielfältiger öffentlicher sowie para-öffentlicher Rechtssetzungsverfahren oder kann sogar aus Verhandlungsprozessen privater Akteure resultieren, wie dies zum Beispiel für private Verhaltenscodices der Fall ist. Kritisiert wird an diesen Verfahren die mangelnde Demokratie, und die Vorschläge sind vielfältig, wie diesem Mangel begegnet werden könnte. Angestrebt wird eine rechtlich institutionalisierte Selbstgesetzgebung auch in den globalen Verrechtlichungsverfahren, die sich in analoger Weise am Muster dessen orientiert, was seinerzeit zum demokratischen Nationalstaat geführt hat.(27)

Klarer kann hingegen schon heute umschrieben werden, was die Rückbesinnung auf das alte Paradigma der Französischen Revolution im inhaltlichen Blickwinkel bedeutet. Wird der Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Volkssouveränität ernst genommen, so können diese Rechte einem Volk weder geschenkt noch aufgezwungen werden, sondern die betroffenen Menschen müssen sie sich selber nehmen. Dies ist individuell nicht möglich, sondern nur im Kollektiv, nämlich unter Beanspruchung der Volkssouveränität in einem bestimmten gesellschaftlichen Raum. Dabei muss dieser Vorgang nicht unbedingt unter dem Titel «Volkssouveränität» ablaufen, wenn nur der Diskurs über die Menschenrechte im betreffenden gesellschaftlichen Raum ohne Exklusionen stattfindet.(28) Diese Einsicht führt zu einer Menschenrechtspolitik, die sich in manchem von jener unterscheidet, wie sie heute vielerorts zu beobachten ist. Obwohl es sich dabei um die Rückbesinnung auf ein altes Paradigma handelt, könnten Einsichten in dieser Richtung zu Veränderungen der Menschenrechtspolitik führen, die einem Paradigmenwechsel gleichkämen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bei Hinterfragung von Aktivitäten, die heute unter dem Titel «Menschenrechte» unternommen werden, andere Begründungen gefunden werden müssten, oder dass sich gewisse Aktivitäten sogar als nicht begründbar erweisen.

Beispielsweise müsste eine kurzfristige und aktuelle Konsequenz aus dieser Einsicht darin bestehen, militärische Interventionen in Drittstaaten – sofern sie denn überhaupt beschlossen werden, was auch aus anderen Gründen umstritten ist – nie mehr mit «Schutz der Menschenrechte» zu begründen. Dies schließt die Legitimierung durch «Vermeidung von Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit» nicht aus – und solches haben die Befürworter solcher Interventionen auch im Sinn, wenn sie sich auf «Schutz der Menschenrechte» berufen. Dabei werden jedoch zwei Begriffe vermengt, nämlich ein völkerrechtlicher und ein völkerstrafrechtlicher. Und die Verwechslung ist folgenreich. Völkerstrafrecht ist mit dem völkerrechtlichen Schutz der Menschenrechte nur indirekt verknüpft. Analog zur nationalen Ebene, in welcher der Schutz von Rechtsgütern durch das Strafrecht lediglich die Ultima Ratio darstellt, kommt dem Völkerstrafrecht eine Berechtigung lediglich als Ultima Ratio der menschrechtlichen Völkerrechtsordnung zu. Völkerrechtlicher Schutz der Menschenrechte bezweckt im weitesten Sinne den Schutz des Rechtsgutes «Menschenwürde» durch vielfältige Normen und Verfahren nicht-strafrechtlicher Natur. Wenn völkerrechtlicher Menschenrechtsschutz und Völkerstrafrecht verwechselt werden, bedeutet dies – übersetzt auf die nationalstaatliche Ebene – die Reduktion der Rechtsordnung auf das Strafrecht und damit eine Negation des nicht-strafrechtlichen Schutzes der selben Rechtsgüter, der – verglichen mit dem Strafrecht – von viel grundlegenderer Bedeutung ist.

Interessanter als Aktivitäten, deren Berechtigung zu hinterfragen wäre, sind jedoch jene Bereiche, welche durch einen solchen Paradigmenwechsel größere Aufmerksamkeit finden würden. Ein inhaltlich besonders wichtiger Aspekt betrifft das Innen- und das Außenverhältnis eines Staates, einer Staatengemeinschaft oder eines sonst wie gegebenen gesellschaftlichen Raumes. Der Paradigmenwechsel – oder vielmehr die Rückkehr zum alten Paradigma – führt die beiden Rollen des Individuums wieder zusammen, einerseits die Rolle als Träger der Volkssouveränität, der sich immer wieder beteiligt an der Definition der Menschenrechte, andererseits die Rolle als Rechtsunterworfener, der die Rechte individuell im konkreten Fall für sich beansprucht. Befinden sich beide Rollen im Gleichgewicht, trägt dies im Rechtsunterworfenen zum Bewusstsein bei, dass es Menschenrechte nur als gleiche Rechte aller Menschen gibt. Selbst wenn es im Verfahren des individuellen Einforderns um den konkreten Fall geht, bleibt ein Stück der bürgerschaftlichen Verantwortlichkeit präsent. Diese Feststellung bezieht sich zunächst auf das Innenverhältnis in einem bestimmten gesellschaftlichen Raum. Darüber hinaus wird aber auch ein Zusammenhang hergestellt zwischen dem menschenrechtlichen Außen- und dem Innenverhältnis. Nach außen werden die Menschenrechte meist dann zum Thema, wenn die Einhaltung dieser Rechte in Drittstaaten angemahnt wird. Der Paradigmenwechsel hat zur Folge, dass solche Anmahnungen nur noch dann glaubwürdig sind, wenn gleichzeitig mit derselben Glaubwürdigkeit an der Weiterentwicklung der Menschenrechtskultur im Innenverhältnis gearbeitet wird.

Es gibt zwei Wege, über welche die Menschenrechte ins öffentliche Bewusstsein gelangen können: entweder im öffentlichen Diskurs der Berechtigung über Definition und Weiterentwicklung der Rechte, oder dann – und dies ist die schlechtere Variante – wenn sie verletzt werden. Geschieht keines von beiden, geraten die Menschenrechte in Vergessenheit und massive Verletzungen können sich vorbereiten. Die beste Prävention zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen besteht deshalb im ständigen Diskurs über diese Rechte, und dies nicht im Außenverhältnis – im Anmahnen Dritter – sondern im Innenverhältnis.

Ausblick

Die Rückkehr zum Paradigma der Französischen Revolution betrifft ein breiteres Spektrum von Themen, als man zunächst annehmen würde. Einige seien hier abschließend erwähnt. Wenn der Menschenrechtsdiskurs in der eben beschriebenen Weise gehandhabt wird, entkräftet dies maßgeblich den Vorwurf des «westlichen Menschenrechtsimperialismus» , wie er da und dort nicht ganz zu Unrecht erhoben wird. Wenn die Völker die Menschenrechte selber beanspruchen und definieren müssen, kann es nicht länger angehen, ihnen diese Rechte schenken oder aufzwingen zu wollen. Was man von diesen Völkern erwartet oder erhofft, müssen aber auch diejenigen Staaten oder Staatengruppen selber leisten, die sich einer gelungen Umsetzung der Menschenrechte bereits seit längerer Zeit erfreuen. Sie müssen ihre Konzeption dieser Rechte einer permanenten Selbstkritik unterziehen.(29) Langfristig trägt dies dazu bei, dass der heute so beliebte Ansatz des Anmahnens der Menschenrechte bei Dritten überlagert werden könnte durch das Vorangehen von Staaten oder Staatengruppen im Sinne des beispielgebenden Menschenrechtsdiskurses im Innenverhältnis. Die letztere Methode ist weit wirksamer ist als die erstgenannte, wie übrigens die Geschichte der Menschenrechte eindrücklich belegt: Der Versuch Napoleons, ganz Europa mit den Errungenschaften der Französischen Revolution zu beglücken, hat diesen Errungenschaften und insbesondere den Menschenrechten nachhaltig geschadet und hat die Verbreitung dieser Ideen um Jahrzehnte verzögert. Wirklich Fuß gefasst haben Menschenrechte und Volkssouveränität in Europa schließlich dadurch, dass in den einzelnen Staaten die bereits gelungenen Beispiele nachgeahmt und weiterentwickelt worden sind.

Im Zusammenhang mit dem Innenverhältnis kommt der Europäischen Union eine besondere Rolle zu – und hier trifft sich in der Wiederannäherung der Volkssouveränität an die Menschenrechte der inhaltliche Blickwinkel mit dem institutionellen. Wenn die EU sich eine Charta der Grundrechte gegeben hat, so kann dieser Vorgang – was die erwähnte Wiederannäherung anbelangt – nicht mit der Schaffung der internationalen Menschenrechtsinstrumente im Rahmen des Europarates und der UNO verglichen werden. Ein Unterschied liegt darin, dass die Grundrechte der EU-Bürgerinnen und Bürger ihre Wurzeln weitestgehend in der Tätigkeit des Europäischen Gerichtshofes haben, welcher vor allem in den Anfängen der Montanunion, aber auch noch in der EWG durch eine «Platzhalter-Funktion» die fehlende politische Mitwirkung auszugleichen versuchte.(30) Auch nationale Gerichte trugen zu dieser Entwicklung bei, jedoch ohne die Platzhalter-Funktion, denn sie stehen immer im Spannungsverhältnis zum nationalen Gesetz- und Verfassungsgeber. Heute wird die Situation in der EU richtigerweise als «rechtswissenschaftliche Substitution demokratischer Politik durch menschenrechtliche Jurisdiktion» kritisiert.(31) Ein anderer Unterschied liegt im teilweisen Transfer staatlicher Souveränität von den Mitgliedstaaten auf die EU-Ebene, welcher zur Folge haben kann, dass diese Staaten die Politiken nicht mehr frei definieren können, mittels welcher sie ihre menschenrechtliche Schutzpflicht erfüllen wollen.(32) Da die EU weltweit gesehen das Experimentierfeld par excellence für die Verlagerung nationalstaatlicher Souveränität auf eine höhere Ebene ist, wird sie sich – was die Menschenrechte anbelangt – auch dem diesbezüglichen Transfer der Völker-Souveränität nicht lange verschließen können. Vielleicht ist ein da und dort festzustellendes diffuses Unbehagen gegenüber der EU in ihren Mitgliedstaaten auch auf die Ahnung zurückzuführen, dass diesbezüglich eine wichtige Entwicklung bevorsteht, die sich aber noch nicht genügend artikuliert hat.(33) Jedenfalls stellt die Wiederannäherung der Volkssouveränität an die Menschenrechte für die EU eine besondere Herausforderung dar.(34)

Im Weiteren könnte das neue – oder alt / neue – Paradigma auch einige Fragen in der Diskussion um den Kulturrelativismus beantworten helfen. Wenn den Menschenrechten aus bestimmten Kulturen vorgeworfen wird, sie seien zu individualistisch und würden zur Zerstörung gesellschaftlich notwendiger Solidarstrukturen beitragen, so richtet sich dieser Einwand nicht gegen jenes Phänomen, das in diesem Beitrag als individualistische Ausblendung des kollektiven Elementes der Menschenrechte bezeichnet wird. Dennoch gibt es Berührungspunkte zwischen den beiden Phänomenen. Auch die europäisch verstandene Menschenrechtskultur zielt nicht darauf ab, das Individuum als Einzelfigur völlig bindungslos im gesellschaftlichen Umfeld hängen zu lassen, vorausgesetzt, sie blendet das kollektive Element der Rechte nicht aus. Historisch hat sich die heutige europäische Form der staatsbürgerlich-kollektiven Einbindung aus früheren Einbindungen in Gruppenstrukturen entwickelt, in Großfamilien, Sippen, Standesorganisationen, ethnische, religiöse oder andere Verbände.(35) Diese Gruppen nahmen ihren ausschließlichen Vermittlungsanspruch immer mehr zurück und öffneten ihren Angehörigen den direkten Zugang als Individuen zur staatsbürgerlich-kollektiven Mitwirkung, was in der langfristigen Entwicklung auch jenen Individuen den Zugang zu dieser Mitwirkung ermöglichte, die aus den jeweils maßgeblichen Gruppen exkludiert waren.(36) Wie die Kulturen, die diese Vorbehalte einbringen, ihren Weg zu einem exklusionsfreien Diskurs über die Menschenrechte finden werden, müssen sie selber bestimmen.(37) Es ist nicht ausgeschlossen, dass andere Kulturen gewisse überkommene Solidarstrukturen beibehalten, wenn es ihnen gelingt, diese in inklusivere Formen überzuführen.

Hier berührt sich schließlich der menschenrechtliche Kulturrelativismus mit den Fehlentwicklungen im State-Building, wie sie oben für verschiedene Krisenregionen aufgezeigt worden sind. Die durch andere Kulturen verteidigten Solidarstrukturen einerseits und die durch das verfehlte State-Building geschaffenen Strukturen andererseits haben insofern eine innere Verwandtschaft, als beide keinen gruppenunabhängigen und für alle Individuen gleichen Zugang zum Entscheid über die Herstellung öffentlicher Ordnung gewährleisten. Die erstgenannten Kulturen sichern öffentliche Ordnung und solidarische Einbindung über Gruppenstrukturen, weil sie sich die Möglichkeit der Gruppenexklusion als Ordnungsinstrument (noch) offen halten wollen. Die Konstrukteure des verfehlten State-Building haben auf Gruppenstrukturen zurückgegriffen, weil sie die Unabdingbarkeit des staatsbürgerlich-kollektiven Bewusstseins und die Notwendigkeit zu wenig vor Augen hatten, die Nation «als eine Gesamtheit von Bürgern und nicht als ein Kollektiv religiöser Gemeinschaften» zu verstehen.(38) Damit wurden – wie das Beispiel Bosnien&Herzegowina anschaulich zeigt – die Menschenrechte auf einen individualistischen Ansatz reduziert. Dies wiederum war nur möglich, weil von einem vorrevolutionären Verständnis der Menschenrechte ausgegangen wurde, wie es eingangs erwähnt worden ist. Genau da setzt der angesprochene Paradigmenwechsel ein.

Auch in Europa finden Diskussionen statt, die an Begrifflichkeiten aus dem menschenrechtlichen Kulturrelativismus erinnern. So wird von einigen Akteuren unter dem Begriff der «Eigenverantwortlichkeit» nichts anderes verstanden als die Rückführung der solidarischen Einbindung und der Absicherung sozialer Risiken in Familien- und Sippenstrukturen. Für die betroffenen Individuen ist dies mit einem Freiheitsverlust der selben Qualität verbunden wie jener, der – zum Teil sogar von den selben Akteuren – in anderen Kulturen kritisiert wird.(39) Eine solche Rückführung schwächt das staatsbürgerlich-kollektive Bewusstsein als Ganzes, welches allein in der Lage ist, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gewährleisten.(40) Umso wichtiger ist der anstehende menschenrechtliche Paradigmenwechsel.

Wenn Menschenrechtskultur wieder beide Rollen des Individuums beinhaltet, tritt im öffentlichen Bewusstsein neben die Rolle des individuellen Einklagens der Rechte im konkreten Fall gleichwertig die Rolle der Teilnahme am kollektiven Diskurs aller Berechtigten über den Inhalt dieser Berechtigung. Damit wird der Versuch undenkbar, öffentliche Ordnung und solidarische Einbindung auf Sippen- und Gruppenzugehörigkeiten religiöser, ethnischer oder anderer Natur aufzubauen. Die Schwächung des staatsbürgerlich-kollektive Elementes, welche solche Versuche unweigerlich zur Folge haben, fällt weg, was für den gesellschaftlichen Zusammenhalt von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Und insbesondere wird es undenkbar, das staatsbürgerlich-kollektive Element der Menschenrechte so gänzlich auszublenden, wie dies in den erwähnten Krisenregionen geschehen ist.

1) Die Autorin arbeitete von 1996 bis 2000 als Ombudsfrau für Menschenrechte des Staates Bosnien&Herzegowina in Sarajewo. Rechtsgrundlage für die von ihr geleitete Ombudsstelle bildete Annex 6 des Friedensabkommens von Dayton.

2) So wurde zum Beispiel für das dreiköpfige Staatspräsidium eine Vertretung der drei ethnischen Gruppen (bosnische Serben, bosnische Kroaten, Bosniaken – also muslimische Bosnier) festgeschrieben. Wegen Einschränkung des passiven Wahlrechtes durch diese Regelung ist beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Beschwerde hängig (Roma und Jewish Communities gegen Bosnien-Herzegowina, gemäß Auskunft des EGMR vom 5.2.2008).

3) Zur Klärung der Situation wurde die «Venedig» -Kommission des Europarates beigezogen und befand, «the human rights protection mechanism foreseen in the legal order of Bosnia and Herzegovina presents an unusual degree of complexity.» Dokument CDL-INF(96)9, http: / / www.venice.coe.int / docs / 1996 / CDL-INF(1996)009-e.asp (abgerufen am 31. Januar 2008).

4) Die Konsequenzen dieser rechtlichen Konstruktion waren zum Teil fragwürdig. So stellte sich die Frage der direkten Anwendbarkeit von völkerrechtlichen Normen, denen weltweit anerkanntermaßen keine Justiziabilität zukommt. Und bis zur formellen Ratifikation der EMRK durch Bosnien am 12.Juli 2002 konnten Beschwerden gegen Bosnische Behörden wegen Verletzungen dieser Konvention dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht unterbreitet werden, obwohl die Konvention aufgrund des Friedensabkommens von Dayton seit 14.Dezember 1995 landesrechtlich direkt anwendbar war.

5) Für den Irak hat Amartya Sen die analoge Situation so beschrieben: «Die Mitwirkung der Angehörigen verschiedener Gruppen (Schiiten, Sunniten, Kurden) schien strikt von den jeweiligen Wortführern vermittelt zu sein, während die allgemeine Eigenschaft, Bürger des Landes zu sein, kaum zum Tragen kommen konnte. (...) Weil sich der Irak aus der Sicht der Vereinigten Staaten als eine Gesamtheit nicht von Bürgern, sondern von Religionsgemeinschaften darstellte, ging es in fast allen Verhandlungen um Entscheidungen und Äusserungen der Führer dieser Gemeinschaften. Das war natürlich angesichts der schon vorhandenen und der durch die Besatzung selbst geschaffenen Spannungen eine einfache Vorgehensweise. Was auf kurze Sicht am einfachsten ist, ist aber nicht unbedingt das Beste, wenn es um die Zukunft eines Landes geht und vor allem wenn etwas Wichtiges auf dem Spiel steht, nämlich die Notwendigkeit, dass eine Nation sich als eine Gesamtheit von Bürgern und nicht als ein Kollektiv religiöser Gemeinschaften versteht.» Sen, Die Identitätsfalle. Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt, 2007, S. 189 und 90.

6) Grundlegend dazu Günther, Welchen Personenbegriff braucht die Diskurstheorie des Rechts? Überlegungen zum internen Zusammenhang zwischen deliberativer Person, Staatsbürger und Rechtsperson, in: Brunkhorst / Niesen (Hg.), Das Recht der Republik, 1999, S. 83-104.

7) Maus, Menschenrechte als Ermächtigungsnorm internationaler Politik, oder: der zerstörte Zusammenhang von Menschenrechten und Demokratie, in: Brunkhorst / Köhler / Lutz-Bachmann (Hg.), Recht auf Menschenrechte, 1999, S. 287.

8) Eine übersichtliche Zusammenstellung der Einwände gegen diese Position findet sich bei Menke / Pollmann, Philosophie der Menschenrechte zur Einführung, 2007, S. 170 ff.

9) Grimm, Deutsche Verfassungsgeschichte 1776 - 1866, 1988, S. 12.

10) Möllers, Verfassungsgebende Gewalt-Verfassung-Konstitutionalisierung. Begriffe der Verfassung in Europa, in: von Bogdandy (Hg.), Europäisches Verfassungsrecht. Theoretische und dogmatische Grundzüge, 2003, S. 15.

11) Nagl-Docekal, Autonomie zwischen Selbstbestimmung und Selbstgesetzgebung, oder Warum es sich lohnen könnte, dem Verhältnis von Moral und Recht bei Kant nachzugehen, in: Pauer-Studer / dies. (Hg.), Freiheit, Gleichheit und Autonomie, 2003, S. 313.

12) Menschenrechte verpflichten nicht das einzelne moralische Subjekt sondern «das kollektive politische Subjekt» , Menke / Pollmann (Fn. 8) S. 33.

13) Tugendhat, Vorlesungen über Ethik, 1993, S. 349 f.

14) Brunkhorst, Solidarität. Von der Bürgerfreundschaft zur Globalen Rechtsgenossenschaft, 2002, S. 92.

15) Brunkhorst (Fn. 14), S. 93.

16) Wellmer, Menschenrechte und Demokratie, in: Gosepath / Lohmann, Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 266.

17) Eine Ausnahme bildete die – aus nationalen Parlamentsdelegationen bestehende – Beratende Versammlung des Europarates, welche als parlamentarische Komponente einen nicht unbedeutenden Einfluss auf die Ausgestaltung des Menschenrechtsschutzes im damaligen Westeuropa hatte. Van Dijk / van Hoof / van Rijn / Zwaak, Theory and Practice of The European Convention on Human Rights, 2006, S. 3 f.

18) Für Deutschland kritisch Maus (Fn. 7). Für Grossbritanien kritisch Bellamy, Political Constitutionalism: A Republican Defence of the Constitutionality of Democracy, 2007. Bereits 1991 hat die Harvard-Professorin Mary Ann Glendon auf ein analoges Problem in den USA hingewiesen, das sich aus der dortigen Tradition ergibt, wonach aus politischen Forderungen Rechtsansprüche abgeleitet werden. Glendon, Rights Talk. The Impoverishment of Political Discourse, 1991.

19) «... wir (Menschen) selbst (...) sind (es), insofern wir uns unter die Moral der universellen Achtung stellen, die allen Menschen die sich aus dieser ergebenden Rechte verleihen.» Tugendhat (Fn. 13), S. 345 f.

20) Menke / Pollmann (Fn. 8), S. 169.

21) «‹La déclaration des droits de l'homme› vise à l'origine les droits d'un sujet rationnel, d'un être abstrait qui n'est pas envisagé sous l'angle de sa singularité, au contraire. (...) En oubliant peut-être que ce qui constituait la dignité de l'homme était de s'élever au dessus des particularités de chacun et de penser pour l'humanité en général. Mais on n'a plus foi dans ‹le peuple› ou même dans la souveraineté partagée entre les citoyens et le gouvernement. On a foi dans le droit qui protège et départage les individualités.» Gauchet, L'individu privatisé, http: / / gauchet.blogspot.com / 2007 / 12 / lindividu-privatis.html (abgerufen am 20. 2. 2008).

22) Menke / Pollmann (Fn. 8), S. 97.

23) So wurde kürzlich in einer englischen Publikation der Begriff «demoi-cracy» vorgeschlagen, Besson, Deliberative Demoi-cracy in the European Union. Towards the Deterritorialisation of Democracy, in: dies. / Marti, Deliberative Democracy and its Discontents, 2006, S. 181-214.

24) Den Menschenrechten kann eine Vorreiterrolle zukommen, weil bei ihnen die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Ebenen am deutlichsten ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit getreten ist. Günther, Rechtspluralismus und universaler Code der Legalität: Globalisierung als rechtstheoretisches Problem, in: Wingert / ders. (Hg.), Die Öffentlichkeit der Vernunft und die Vernunft der Öffentlichkeit. Festschrift für Jürgen Habermas, 2001, S. 548.

25) Diesen Begriff verwenden Zangl / Zürn, Verrechtlichung – Baustein für globale Governance, 2004, S. 12 ff.

26) Nanz / Steffek, Zivilgesellschaftliche Partizipation und die Demokratisierung internationalen Regierens, in: Niesen / Herborth (Hg.), Anarchie der kommunikativen Freiheit. Jürgen Habermas und die Theorie der internationalen Politik, 2007, S. 88.

27) In diesem Sinne bezeichnet Klaus Günther den modernen Nationalstaat als «welthistorisches Durchgangsstadium für die rechtsförmige Institutionalisierung einer demokratischen Selbstbestimmungspraxis. (...) Die Entkoppelung des Rechtscodes von seiner Institutionalisierung in der Form eines demokratischen und verfassten Nationalstaates bedeutet (...) nicht, dass damit zugleich die Idee einer demokratischen Selbstgesetzgebung überhaupt preisgegeben wäre.» Günther (Fn. 24), S. 561.

28) Menke / Pollmann (Fn. 8), S. 92 f.

29) Menke / Pollmann (Fn. 8), S. 85.

30) Tohidipur, Europäische Gerichtsbarkeit im Institutionensystem der EU. Zu Genese und Zustand justizieller Konstitutionalisierung, 2007, S. 78.

31) Brunkhorst, Zwischen transnationaler Klassenherrschaft und egalitärer Konstitutionalisierung. Europas zweite Chance, in: Niesen / Herborth (Fn. 26), S. 334.

32) Spürbare Konsequenzen dieser Entwicklung sind eher im Bereich der sozialen Rechte zu erwarten als hinsichtlich der klassischen Freiheitsrechte.

33) Brunkhorst (Fn. 31), S. 322 ff.

34) Buckel, Subjektivierung und Kohäsion. Zur Rekonstruktion einer materialistischen Theorie des Rechts, 2007, S. 273 ff und S. 295 ff.

35) Die Anfänge dieser Entwicklung gehen auf die mittelalterliche Städtebildung zurück, auf die «Bildung eines Verbandes aus allen Bürgern als Individuen, bei der die Abgrenzung des Blutes, der Verwandtschaft und des Ritus überwunden werden.» Dilcher, Mittelalterliche Stadtkommune, Städtebünde und Staatsbildung. Ein Vergleich Oberitalien-Deutschland, in: Lück / Schildt (Hg.), Recht – Idee – Geschichte, Beiträge zur Rechts- und Ideengeschichte für Rolf Lieberwirth anlässlich seines 80.Geburtstages, 2000, S. 455.

36) Dieser Prozess ist nicht abgeschlossen, heute entwickelt er sich entlang der Linie Staatsbürger vs. Ausländer oder der Herkunft aus EU- vs. Nicht-EU-Mitgliedstaaten.

37) Die unterschiedlichen Reaktionen, welche das Inkrafttreten der Arab Charter on Human Rights ausgelöst hat, zeigt eine Amivalenz westlicher Akteure gegenüber der Selbstdefinition von Menschenrechten durch andere Kulturen auf, welche nur teilweise berechtigt ist. Zur Beurteilung durch die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte siehe <http: / / www.unog.ch / unog / website / news_media.nsf / (httpNewsByYear_en)
/ 385A138D2DCAA53FC12573DA00563DEB?OpenDocument> und <http: / / www.unog.ch / unog / website / news_media.nsf / (httpNewsByYear_en)
/ CA8AD9742DC02606C12573E00057C3C0?OpenDocument> (beide abgerufen am 17.2.2008).

38) Sen (Fn. 4), S. 90.

39) Die Quantität des Freiheitsverlustes ist nicht vergleichbar, was aber nicht über die qualitative Identität der beiden Phänomene hinwegtäuschen sollte.

40) Abgesehen davon, dass der Begriff des «Patriotismus» aufgrund verschiedener Ereignisse in den letzten Jahren weltweit etwas fragwürdig geworden ist, könnte man dieses Bewusstsein im weitesten Sinne auch dem «Verfassungspatriotismus» zuordnen.