Gret Haller
Wider das Freund-Feind-Denken
Die Aufteilung der Welt in Gut und Böse und die Demütigung des Anderen sind Instrumente des Fundamentalismus
in Frankfurter Rundschau vom 25. März 2006

Es gibt keine «Achse des Bösen» und keine «Schurkenstaaten» . Wer solche Begriffe verwendet, betreibt kulturellen Fundamentalismus. Europa sollte solches weder bei Islamisten noch bei den USA dulden.

Wer im «Karikaturen-Streit» den Ausbruch des Kampfes der Kulturen sieht, liegt falsch. Zwar ist diese Auseinandersetzung auf beiden Seiten von Leuten angezettelt worden, die diesen Clash of Civilisations herbeiführen möchten. Ausgelöst hat der Streit aber vor allem eine interne Kontroverse auf beiden Seiten, sowohl auf der westlichen Seite als auch und vor allem auf der islamischen. Noch nie hat man so zahlreiche und eindringliche Aufrufe zu Mäßigung von religiösen und weltlichen Meinungsführern in der islamischen Welt vernehmen können. In der westlichen Welt bahnt sich der analoge Vorgang nur zögerlich an.

Als die Karikaturen erschienen, fühlte sich die islamische Welt längst gedemütigt. Subtiler als die militärische Intervention in verschiedenen islamischen Staaten – aber nicht weniger demütigend – wirkt sich dabei die moralische Diskreditierung verbaler Natur aus. Wer «Achse des Bösen» sagt, meint unausgesprochen vor allem den Islam. Solche moralischen Diskreditierungen sind durchaus als Programm zu verstehen: Es sei nicht nur falsch und gefährlich, an die Universalität der westlichen Kultur zu glauben, sondern es sei auch unmoralisch, konnte man beim Erfinder des Clash of Civilisations, dem US-Politologen Samuel Huntington, schon 1996 lesen. Damit wurde der Boden bereitet für den kulturellen Fundamentalismus, der von der moralischen Überlegenheit der eigenen Kultur ausgeht. Demütigung ist im Instrumentarium aller Fundamentalismen unabdingbar. Wer sich moralisch überlegen fühlt, wird über kurz oder lang jene demütigen, welche sich der Wahrheit des Überlegenen nicht anschließen.

Fundamentalismen sind unvereinbar mit dem Begriff der «Gleichheit» , insbesondere negieren sie die gleiche Würde aller Menschen. Im religiösen Fundamentalismus haben die Angehörigen anderer Religionen weniger Würde als die Angehörigen der eigenen Religion. Im ethnischen Fundamentalismus trifft es die Angehörigen anderer Ethnien, im nationalen Fundamentalismus die Angehörigen anderer Nationen und im kulturellen Fundamentalismus die Angehörigen anderer Kulturen. Gemeinsam ist diesen Denkweisen die Verteufelung des Anderen. Das Andere wird zum Bösen, und dadurch wird das Eigene zum Guten. Moralische Differenzierung aufgrund eines bestimmten Merkmales gehört zum Kerngehalt aller Fundamentalismen. Dieses Merkmal kann auch die individuelle Identifizierung mit der absolut gesetzten Wahrheit des Fundamentalisten sein. Wer diese Wahrheit übernimmt, wird zum «Freund» , und dadurch werden alle zu Feinden, welche die Wahrheit nicht übernehmen. Indifferenz lassen Fundamentalisten nicht gelten, womit das Freund-Feind-Denken unabdingbar wird. Dieses negiert die Vorstellung einer gleicher Würde aller Menschen von Grund auf: Menschenwürde unterscheidet weder zwischen «Freunden» und «Feinden» noch zwischen «guten» und «bösen» Menschen, im Wissen darum, dass die moralische Definitionsmacht eine reine Machtfrage ist.

Eine Machtfrage ist aber auch die Form der Demütigungen, welche Fundamentalisten zum Einsatz bringen können. Ohnmächtige Fundamentalisten demütigen durch Gewaltanwendung, sie setzen zum Beispiel Botschaften in Brand. Mächtige Fundamentalisten können es sich leisten, im moralischen Direktverfahren zu demütigen, indem sie die moralische Definitionsmacht monopolisieren und die Welt einteilen in «ihre Freunde» und «ihre Feinde» . Damit negieren sie nicht nur die menschenrechtliche Grundvoraussetzung der gleichen Würde aller Menschen, sondern sie attackieren auch den Grundsatz der Gleichheit aller Staaten, ohne welchen es keinen Frieden geben kann.

Fundamentalismus kann nur überwunden werden, wenn alle Fundamentalismen mit der selben Klarheit zurückgewiesen werden. Wenn europäische Staaten den religiösen Fundamentalismus aus der islamischen Welt zurückweisen, ohne gleichzeitig den kulturellen Fundamentalismus, wie er sich im offiziellen Sprachgebrauch vor allem der Vereinigten Staaten ausdrückt, mit der selben Klarheit zurückzuweisen, wird dies in der islamischen Welt vielerorts als Demütigung empfunden und trägt zum Erstarken des islamischen Fundamentalismus bei. Lange haben die europäischen Staaten zum kulturellen US-Fundamentalismus geschwiegen. Zum Teil war es ein einverständliches Schweigen, zum Teil ein desinteressiertes und mitunter auch ein betretenes. Dieses Schweigen ist heute nicht mehr angebracht. Robert Schuman hat die europäischen Integration mit folgenden Worten umschrieben: «In Europa (…) muss, damit es wirklich existieren kann, das Prinzip der gleichen Rechte und Pflichten für alle Länder herrschen, die sich zusammengeschlossen haben. Das demokratische Gesetz der Mehrheit, dem unter vorher festgelegten Bedingungen und Modalitäten freiwillig zugestimmt wurde und das sich auf die im Hinblick auf das gemeinsame Interesse wesentlichen Aspekte beschränkt, wird letztlich weniger demütigend sein als die Entscheidungen, die vom Stärkeren aufgezwungen werden.» Für die europäische Integration ist diese Sicht geradezu Programm geworden, gewachsen auf der bis heute prägenden Erfahrungen mit religiösem Fundamentalismus vor dem westfälischen Frieden 1648 und mit nationalem Fundamentalismus in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, welcher in der europäischen Integration überwunden worden ist. In Südosteuropa wird mit der Überwindung eines Denkens in Kategorien des ethnischen Fundamentalismus immer noch gerungen, weshalb für diese Länder die Annäherung an die Europäische Union von großer Bedeutung ist.

Der Karikaturen-Streit kann nicht allein auf die Ebene des Respekts zwischen den Religionen reduziert werden. Wer einen Beitrag zur Deeskalation leisten will, muss jegliche Demütigung vermeiden, auch jene, die sich daraus ergibt, dass die verschiedenen Fundamentalismen nicht mit derselben Klarheit benannt und abgelehnt werden. Eine verantwortungsvolle Stellungnahme verurteilt einerseits den religiösen islamischen Fundamentalismus und die daraus hervorgehende Gewalt, aber sie verurteilt gleichzeitig den kulturellen Fundamentalismus, und insbesondere dessen verbale Erscheinungsform. Es gibt keine «Achse des Bösen» , es gibt keine «Schurkenstaaten» und der «Kampf für das Gute und gegen das Böse» ist ein infantiler Irrtum. Wer solche Begriffe verwendet, betreibt kulturellen Fundamentalismus. Es ist Zeit, in Europa den fundamentalistischen Gehalt dieser Ausdrücke öffentlich zu thematisieren und sich gegen deren Verwendung zu verwahren.

Und damit könnte für europäische Staaten auch die Zeit gekommen sein, den fundamentalistischen Gehalt des außenpolitischen Freund-Feind-Diskurses zu entlarven und darauf zu verzichten, sich als Freund oder Feind irgendwelcher Nationen zu bezeichnen.

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